Rechtsfrieden bezeichnet in der Rechtswissenschaft einen Zustand, in dem mögliche Konflikte und Rechtsstreitigkeiten nicht mehr gerichtlich entschieden werden können, den Anforderungen der Rechtsordnung an die Konfliktlösung mithin Genüge getan ist (formelle Seite), das gefundene Ergebnis von den Beteiligten darauf aufbauend akzeptiert werden muss und im besten Fall auch als Zufriedenheit mit dem Recht empfunden wird (materielle Seite).
Der moderne Rechtsstaat nimmt für sich ein Gewaltmonopol in Anspruch und muss seinen Bürgern effektiven Rechtsschutz durch die staatliche Justiz gewähren.[1] Verfahrensgarantien wie der Grundsatz der Waffengleichheit sollen es beiden Seiten gleichermaßen ermöglichen, ihr Rechtsschutzziel zu erreichen und im Prozess zu obsiegen. Idealerweise führt der rechtskräftige Abschluss eines Rechtsstreits auch tatsächlich zu einem gerechten Interessenausgleich und einer Befriedung der Parteien. Rechtsfrieden bedeutet nicht, dass alle Folgen früherer Rechtsverletzungen zwingend beseitigt sein müssen. Rechtsfrieden kann auch herrschen, wenn sich die Rechtsgemeinschaft mit zurückliegenden Rechtsverletzungen abgefunden hat.
So dient zum Beispiel die Verjährung zivilrechtlicher Ansprüche oder die strafrechtliche Verfolgungsverjährung der Wiederherstellung des Rechtsfriedens.[2] Zwar kann nach Eintritt der Verjährung ein Anspruch nicht mehr durchgesetzt oder die Schuld des Täters nicht mehr gesühnt werden, gleichzeitig tritt aber Rechtssicherheit insofern ein, als sich die Gerichte nicht mehr mit lange zurückliegenden Sachverhalten, an deren Aufklärung die Rechtsgemeinschaft nur noch ein untergeordnetes Interesse hat, befassen müssen.
Eine Analyse des Begriffs Rechtsfrieden aus strafrechtsphilosophischer Perspektive hat Tobias Kulhanek 2025 mit seiner Habilitationsschrift „Rechtsfrieden – Ein Beitrag zur Diskussion um die Ziele des Strafverfahrens“ unternommen. Rechtsfrieden beschreibe danach in drei Bezugssystemen einen normativen Automatismus bei herbeigeführter Rechtsbeständigkeit (Frieden im Recht), eine staatliche Verantwortung samt Durchsetzungspflicht gegebenenfalls auch gegen den Willen des Einzelnen (Frieden durch Recht) sowie die notwendige Mitnahme der Bevölkerung (Frieden mit dem Recht).[3] In einer Rezension in der JuristenZeitung wird die Arbeit als bedeutender Beitrag zur Strafrechtsdogmatik gewürdigt, weil die verschiedenen Facetten jeweils eine sehr konkrete „Erdung“ liefern würden, die den Begriff des Rechtsfriedens zu einer Vielzahl strafprozessualer und materiellrechtlicher Einzelfragen tatsächlich argumentativ praktisch verwendbar machten.[4] Das BVerfG versteht das strafrechtliche Delikt seinem Wesen nach schließlich als „die schuldhafte Verletzung eines für alle gewährleisteten Rechtsgutes, es erscheint als eine Störung des allgemeinen Rechtsfriedens“.[5] Verortet in einer Wechselwirkung zwischen Verfahrensrechten, Legalitätsprinzip und Opportunität, konsensualen Verfahrensformen, gerechter Strafzumessung und öffentlicher Wahrnehmung sei der Rechtsfriedensgedanke dementsprechnd ein strukturierendes Prinzip strafprozessualer Rationalität und letzten Endes der Frieden, der durch das Recht gesetzt und mit dem Recht verteidigt wird.
Ein anderes zivilrechtliches Beispiel ist die Ersitzung, mit der eine Diskrepanz zwischen Rechtsschein und Rechtswirklichkeit beseitigt wird.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Rechtsfrieden – Friedensrecht 55. Assistententagung Öffentliches Recht, Universität Augsburg, 3. bis 6. März 2015
- Hans-Jürgen Schlamp: Urteil zu Kriegsverbrechen: Rechtsfrieden geht vor Menschenrecht Der Spiegel, 3. Februar 2012
- Ulrich Simons: Die Mietkammer am Landgericht sorgt für Rechtsfrieden Aachener Zeitung, 13. Mai 2014
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Rechtsfrieden sichern – Gerechtigkeit durchsetzen ( des vom 26. März 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Die rechtspolitischen Ziele der Landesregierung für die 16. Legislaturperiode. Justizportal Nordrhein-Westfalen, abgerufen am 13. Dezember 2015.
- ↑ Jan Bockemühl: Verjährung bei Missbrauchsdelikten. Zwischen Sühne und Rechtsfrieden Legal Tribune Online, 10. Dezember 2010
- ↑ Tobias Kulhanek: Rechtsfrieden. Ein Beitrag zur Diskussion um die Ziele des Strafverfahrens. In: Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge. Band 328. Duncker & Humblot, Berlin 2025, ISBN 978-3-428-19287-8.
- ↑ Bijan Nowrousian JZ 2025, Heft 15, S. 720-722.
- ↑ BVerfG 02.05.1967 – 2 BvL 1/66, BVerfGE 21, 391 = NJW 1967, 1654 (1656).